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Die Biotech-Branche und das liebe Geld

Dr. Michael Thiel, Kooperationspartner SANEMUS AG, blickt auf die Finanzierungslandschaft der deutschen Biotechnologie.

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Das Finanzierungsvolumen der deutschen Biotechnologieunternehmen lag im Jahr 2023 bei 1,080 Mrd. Euro und damit etwa auf dem gleichen Niveau wie im Jahr 2018. 533 Mio. Euro entfielen auf Venture Kapital, 547 Mio. Euro auf Kapitalerhöhungen an der Börse. In den Jahren 2022 und 2023 gab es keine Börsengänge deutscher Biotechnologieunternehmen. Die Jahre 2020 und 2021 waren damit deutliche Ausnahmejahre für die Finanzierung der deutschen Biotechnologieunternehmen mit einem Finanzierungsvolumen von 3,064 Mrd. Euro (2020) und 2,300 Mrd. Euro 2021.

Einige deutsche Biotechnologieunternehmen konnten in den vergangenen Jahren auch im privaten Sektor große Finanzierungsrunden abschließen: 2023 schloss die ITM Isotope Technologies eine Finanzierungsrunde mit 255 Mio. Euro ab (im laufenden Jahr sind weitere rund 180 Mio. Euro bei ITM hinzugekommen), im März 2024 warb die Tubulis GmbH in einer B2-Runde 128 Mio. Euro ein, im Jahre 2022 hatte die Tubulis bereits 60 Mio. Euro in der ersten B-Runde eingeworben. Zu nennen sind auch die B-Runde von T-knife im Jahre 2021 mit 92,9 Mio. Euro, die B-Runde der iOmx im Jahr 2021 mit 65 Mio. Euro oder die B-Runde der Cardior mit 64 Mio. Euro 2021, letztere wurde zwischenzeitlich für einen Milliardenbetrag von der dänischen Novo Nordisk aufgekauft. Betrachtet man diese großen Finanzierungsrunden im Detail, kam der Betrag immer durch ein Syndikat von mehreren institutionellen und öffentlichen Venture Capital Fonds zustande. Lead Investor war fast immer ein Venture Capital Fonds aus dem europäischen Ausland, was zur Betrachtung der institutionellen deutschen Venture Capital Fonds führt. Die Tabelle stellt die großen deutschen Venture Life Sciences Capital Fonds den großen europäischen Life Sciences Venture Capital Fonds gegenüber.

Tabelle: Ausgewählte institutionelle deutsche – europäische Life Sciences Venture Capital Fonds

Deutsche Fonds Volumen Closing Europäische Fonds Volumen Closing
TVM* 478 Mio. USD 10/2020 EQT Life Sciences (S) 1.100 Mio. Euro 11/2021
Wellington 210 Mio. Euro 7/2019 Forbion VI (NL)

Forbion Growth (NL)

760 Mio. Euro

600 Mio. Euro

4/2023

4/2023

SHS** 270 Mio. Euro 7/2023 Gilde Healthcare (NL) 600 Mio. Euro 4/2023
Apollo Ventures 180 Mio. Euro 12/2021 Abingworth (UK) 582 Mio. USD 5/2021
Earlybird 173 Mio. Euro 2/2024 Andera Partners (F) 456 Mio. Euro 10/2022
Heal Capital 100 Mio. Euro 2/2020 Sofinnova (F) 456 Mio. Euro 10/2022
MIG 17 71 Mio. Euro 12/2023 Kurma Partners (F) 250 Mio. Euro 2022

*Der TVM-Fonds hat seinen Sitz in Montreal/München; Investoren sind E. Lilly and Company sowie internationale Banken, Kapitalsammelstellen, Privatinvestoren und Family Offices
** SHS, Tübingen, investiert nur in spätphasige Medizintechnik-Projekte

Was bei der Betrachtung der Tabelle sofort auffällt, ist der enorme Volumenunterschied zwischen den deutschen Fonds und den westeuropäischen Fonds. Im europäischen Ausland ist es den großen Banken und Kapitalsammelstellen wie Versicherungen und Pensionsfonds gestattet, direkt in die Asset Klasse der Venture Capital Fonds zu investieren, was in Deutschland für diese Investoren unattraktiv ist wegen der gesetzlich vorgeschriebenen Hinterlegungspflicht für Venture Capital. Ein Lichtblick für die deutschen Venture Capital Fonds war ein Artikel im HANDELSBLATT vom 3.6.2022, in dem Wirtschaftsminister Habeck verkündete, dass Versicherern und Pensionskassen der Zugang zur Anlageklasse Wagniskapital erleichtert werden soll, um eines der größten Defizite im deutschen Start-Up Ökosystem anzugehen: den Mangel an Wachstumskapital. Deutschland hat seinen Versicherern die vermeintlich riskante Anlageklasse durch unattraktive Konditionen nahezu versperrt, was auch für Dachfonds gilt. Vom Bundesministerium der Finanzen war bereits am 24. 3. 2021 der Zukunftsfonds Deutschland mit einem Gesamtvolumen von 10 Mrd. Euro angekündigt worden, der sich wieder auf 9 Einzelfonds mit unterschiedlicher monetärer Ausstattung verteilt. Gemanagt wird dieser Fonds von der KfW Capital. Die meisten der Einzelfonds sind Dachfonds, an denen sich institutionelle Investoren wie Versicherungen, Stiftungen, Pensionskassen, Family Offices etc. beteiligen können.

Für den Life Sciences Bereich sind von den Einzelfonds der Wachstumsfonds Deutschland, der mit 1 Mrd. Euro ausgestattet ist und am 22.11.2023 geschlossen wurde, und die HTGF-Wachstumsfazilität interessant, deren Ausgestaltung derzeit noch in Bearbeitung ist. Der Investitionsschwerpunkt des Wachstumsfonds liegt auf deutschen und europäischen Venture Capital Fonds mit einem Fokus auf spätphasige Projekte, der Sektorfokus liegt in den Bereichen Informations- und Kommunikationstechnologie, Life Sciences sowie Climate- and Food Tech. Für die Finanzierung von Life Sciences Start Ups sind auch noch die Corporate Venture Funds von Boehringer Ingelheim (BI), Merck und Bayer zu erwähnen. Den BI Venture Fund gibt es seit dem Jahr 2010, es ist ein Evergreen Fund ohne Laufzeitbeschränkung mit einem Investitionsvolumen von 300 Mio. Euro und investiert in Therapeutika und Digital Health Projekte. Den M(erck) Ventures Fund gibt es seit 2009, er ist ebenfalls ein Evergreen Fund mit einem Investitionsvolumen von 600 Mio. Euro, der in Biotechnologie- und Technologieprojekte investiert. Leaps by Bayer investiert in Health und Agriculture Projekte, ein Fondsvolumen wird nicht genannt.

Aktuelles Problem: Seed-Finanzierung

Das Problem, mit dem viele deutsche Biotechnologie Start-Ups heute zu kämpfen haben, ist die Investorensuche zur Finanzierung der Seed-Runde nach der Unternehmensgründung. War es noch vor vier, fünf Jahren die Finanzierung der Wachstumsphase, die den deutschen Life Sciences Start Ups Kopfzerbrechen bereitet hat, ist es heute die Finanzierung der Seed-Runde, da sich viele Life Sciences Venture Capital Fonds aus der Finanzierung von Seed-Projekten zurückgezogen haben. In der Seed-Runde geht es darum, die ersten, meist in den Uni- und Forschungslabors generierten in-vivo, in-vitro und tierexperimentelle Daten mit weiteren Studiendaten zu komplettieren, um die Datenbasis des Projektes zu erweitern und damit einen Investor von der Attraktivität des Projektes zu überzeugen. Das benötigte Budget in der Seed-Runde bewegt sich meist in der Größenordnung von 5 – 10 Mio. Euro. Zum einen sind es die öffentlichen Investoren wie Bayern Kapital, die NRW Bank, b-mt und andere, die mit kleineren Beträgen und einer pari passu Finanzierung (ein institutioneller oder privater Investor muss die Investitionssumme des öffentlichen Investors spiegeln) bereitstehen oder der HighTech Gründerfonds gibt grünes Licht. Die institutionellen Life Sciences Venture Capital Fonds ziehen sich immer mehr aus der Seedfinanzierung zurück und starten erst in der A-Runde oder später. Es gibt zwei Standardargumente für die Ablehung eines Frühphasen-Projektes seitens der Venture Capital Fonds, auch wenn diese Fonds auf ihrer Homepage Investments bereits ab der Seed-Phase ankündigen: das Projekt ist für den Fonds noch zu früh oder die Datenlage des Projektes, was Wirksamkeit und Sicherheit anbetrifft, ist noch unzureichend zur Rechtfertigung eines Investments in dem frühen Stadium. Bei „attraktiven“ Projekten und einer guten Datenlage ist es weniger schwierig, Venture Capital Investoren für die A- und B-Runde zu finden. Aber woher soll das Geld kommen, um die Datenlage in der Pre-Seed oder Seed-Runde zu verbessern?

Für die deutschen Start Ups im Life Sciences Sektor wäre es hilfreich gewesen, wenn mit dem  Wachstumsfonds dezidiert auch Frühphasenprojekte gefördert werden könnten, um die benötigten Wirksamkeits- und Sicherheitsdaten zu generieren, die dann ein Investment der interessierten Venture Capital Fonds in der A-Runde nach sich ziehen würde. Voraussetzung für dieses Konstrukt könnte eine Verpflichtungserklärung eines Venture Capital Fonds für ein Investment in der A-Runde bei Vorliegen der im Vorfeld definierten Wirksamkeits- und Sicherheitsdaten sein. So könnten eine Reihe von attraktiven Frühphasenprojekten weiterverfolgt werden, die heute wegen Kapitalmangels eingestellt werden müssen. Denn aus den deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen kommen nach wie vor viele interessante und kommerziell attraktive Projekte, denen zumindest die Chance gegeben werden sollte, mittels weiterer präklinischer Daten zu zeigen, ob das Projekt weiterentwickelt werden soll oder nicht. Die SPRIND-Agentur kann in Einzelfällen hier eine Lösung bereitstellen mit relativ barrierefreiem, kleinem Geld für eine Ideenvalidierung, jedoch nicht für die Schaffung solider Daten, die einen Abschluss der Präklinik ermöglichen und ausreichen, um anschließend die klinische Entwicklung beginnen zu können.

Ein Lichtblick für die Finanzierung von frühen Projekten der Arzneimittelentwicklung ist der KHAN Technology Transfer Fund I, der vom Lead Discovery Center in Dortmund als Inkubator betreut wird. Das Fondvolumen beträgt 70 Mio. Euro, die Max Planck Gesellschaft kann als Co-Investor tätig werden und steuert dann nochmals 18 Mio. Euro bei. Die Geldgeber für den Fond sind der Europäische Investmentfonds, die Max Planck Foundation, die Austria Wirtschaftsservice Gesellschaft und die Thyssen’sche Handelsgesellschaft. Insgesamt werden bis dato 43 Projekte gefördert. Bei diesem Konstrukt kommen die fachliche Kompetenz des Lead Discovery Centers bei der Auswahl und der Betreuung der Projekte und die finanziellen Mittel zur Durchführung von weiteren Studien zur Verbesserung der Datenlage eines Frühphasen-Projektes in idealer Weise zusammen. Der KHAN Fonds sollte als Blaupause für die anderen Inkubatoren in Deutschland dienen.

Ein weiteres positives Signal für Gründer kam am 6.5.2024 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit der Bekanntgabe der Fortführung des im Jahre 2005 erstmals aufgelegten GO-BIO Förderprogramms unter dem Namen GO-BIO next. In der Phase I des Programms werden Forschungsvorhaben an Hochschulen und Forschungseinrichtungen gefördert, in der Phase II dann die Start Ups. Die jeweilige Fördersumme ist projektabhängig, das Programm startet am 15.9.2024.

Im europäischen Ausland bestehen seit vielen Jahren andere Vorschriften für Investments von Banken und Kapitalsammelstellen in die Asset Klasse Venture Capital. Die Frage, die sich dem Verfasser schon immer gestellt hat, ist, weshalb es in Deutschland nicht möglich ist, die hiesigen Anlagevorschriften beispielsweise an die Vorschriften in Belgien, den Niederlanden oder in Frankreich anzupassen und damit die Voraussetzung in Deutschland zu schaffen, dass deutsche Venture Capital Fonds wesentlich mehr Geld einsammeln können, um in attraktive Projekte in Deutschland zu investieren. Anstelle dieser einfachen Lösung wird der Zukunftsfonds Deutschland ins Leben gerufen, ein Bürokratiemonster mit fünf Dachfonds, bei denen sich deutsche und internationale Venture Capital Fonds um ein Co-Investment bewerben können. Weshalb muss in Deutschland immer ein bürokratischer Popanz aufgebaut werden, wenn es auch einfacher geht?

Die Herausforderung für die nächsten Jahre ist, der Biotechnologie-Branche genügend Wagniskapital zur Verfügung zu stellen, um aus den ersten Ansätzen Projekte für die klinische Entwicklung werden zu lassen. Insbesondere muss die Finanzierung der Start-Ups in der Seed Phase verbessert werden. Dies kann aber nur mit weniger Bürokratismus und mehr Pragmatismus gelingen.

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